Gemeinwohl geht jeden an

Sechs Fragen an Gemeinwohl-Ökonomie-Gründer Christian Felber

1. Herr Felber, Ihre Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) basiert auf 20 inhaltlichen Eckpunkten. Kann man sie auch in zwei, drei Sätzen zusammenfassen?

Die GWÖ ist ein Wirtschaftsmodell, in dem wirtschaftliche Aktivitäten auf das Gemeinwohl ausgerichtet sind. Erfolg wird entsprechend mit einer Gemeinwohl-Bilanz für Unternehmen und einem demokratisch komponierten Gemeinwohlprodukt für Volkswirtschaften gemessen. Je mehr ein Unternehmen zum Gemeinwohl beiträgt, desto weniger Steuern zahlt es, desto günstigere Kredite erhält es und desto freier handelt es. Zudem sollen die Ungleichheiten bei Einkommen, Vermögen und Unternehmensgrößen begrenzt werden. Ethischer Welthandel stellt sicher, dass Handel den übergeordneten Zielen wie Menschenrechte, Klimaschutz, dem sozialen Zusammenhalt oder der kulturellen Vielfalt dient.

 

2. Wir reden von Energiewende, Ökowende, Klimawende… Ist die GWÖ nicht eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen all dieser Ziele?

Sie würde sie wesentlich erleichtern, weil Unternehmen dafür belohnt würden, wenn sie klimaschonend, -neutral oder -positiv werden, während auf Klimawandler höhere Steuern, teurere Kredite und Hürden im Welthandel zukämen. Sie erhielten keine öffentlichen Aufträge mehr und würden in der Wirtschaftsförderung nicht mehr berücksichtigt. Gleichzeitig würden Ökosteuern und -zölle perfekt ins Programm der GWÖ passen. Schließlich könnte die Einführung „ökologischer Menschenrechte“ alles Bisherige toppen. Grundlage sind die „planetaren Grenzen“: Das Maß an erneuerbaren Ressourcen, das die Erde jährlich der Menschheit zur Verfügung stellt, wird auf alle Menschen gleich verteilt, in Form jährlich gewährter „ökologischer Verbrauchsrechte“. Auf der Rückseite dieser Menschenrechtsmedaille stehen die Schutzrechte der Natur.

3. Was kann oder muss die Politik tun, um die Gemeinwohl-Ökonomie mehrheitsfähig zu machen?

Wir haben ein 100-Schritte-Programm entwickelt, das von immer mehr Gemeinde-, Stadt-, Kreis- und Landesräten progressiv umgesetzt wird: Erster Schritt ist die Bilanzierung von Kommunal-, Stadt- oder Kreis- oder Landesbetrieben. Gleichzeitig können Bilanzen bei Privatbetrieben gefördert werden, das machen zum Beispiel Stuttgart, Wien und Barcelona. Als dritter Schritt werden dann die öffentliche Beschaffung und die Wirtschaftsförderung auf die Gemeinwohl-Performance von Unternehmen ausgerichtet. Eine weitere Stufe wäre die Steuer- und Finanzpolitik. Nach dem Vorbild der Stadt Portland im US-Bundesstaat Oregon zahlen Unternehmen, die das Gemeinwohl gefährden – hier indem sie extreme Ungleichheit schaffen – höhere Steuern. Banken könnten verpflichtet werden, vor der finanziellen Risikoprüfung auch eine ethische Risikoprüfung vorzunehmen und die Kreditkonditionen beziehungsweise -entscheidung an deren Ergebnis zu koppeln. Höchste Stufe ist der Zugang zum Weltmarkt. Freihandel gilt dann nur noch für die fairsten und nachhaltigsten Unternehmen. Je geringer die Sorge um das globale Gemeinwohl, desto teurer und schwieriger der Marktzugang.

4. Was kann jeder einzelne tun – innerhalb und außerhalb von Unternehmen – um GWÖ zu fördern?

Mehr als 3000 Menschen sind bisher in 200 Regionalgruppen aktiv geworden. In diesen arbeiten sie mit Unternehmen, der Stadt und Bildungseinrichtungen. Sie organisieren öffentliche Veranstaltungen, kommunizieren mit den Medien oder engagieren sich in den überregionalen Fachkreisen. Der Fachkreis „Bildung“ hat zum Beispiel umfangreiches Material für Schulen entwickelt, das bereits an mehreren hundert Schulen in ganz Deutschland zum Einsatz kommt. Auch wirtschaftliche Tätigkeiten gibt es in der GWÖ. So können sich Berater*innen, Auditor*innen oder auch Referent*innen und Hochschullehrer*innen qualifizieren und beruflich engagieren. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die „Gemeinwohlbeauftragte“ einer Organisation zu werden und als solche den Prozess der Gemeinwohlbilanzierung zu koordinieren.

5. Hat die Gemeinwohl-Ökonomie überhaupt eine Chance mehrheitsfähig zu werden?

Der Wandel der gegenwärtigen kapitalistischen Marktwirtschaft in Richtung einer gemeinwohlorientierten Wirtschaftsweise wird nach diversen Umfragen von einer breiten Mehrheit unterstützt. Der EU-Wirtschafts- und Sozialausschuss hat sich mit 86-prozentiger Mehrheit für den Einbau der GWÖ in das EU-Recht ausgesprochen. Eine der Stärken der Gemeinwohl-Ökonomie besteht darin, dass sie an Kernelemente der kapitalistischen Marktwirtschaft anknüpft: Unternehmen, Kredite, Handel, Märkte, Eigentum. Sie transformiert jedoch diese Elemente, indem sie diese konsequent in den Dienst der übergeordneten Werte – Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Demokratie – stellt. Es handelt sich also um Transformation und Weiterentwicklung, nicht um „Disruption“ oder „Systemwechsel“. Das ist genau der Grund, warum sich so viele Unternehmen, Kommunen, Städte, Landkreise und Politiker*innen an der Umsetzung beteiligen. 

6. Können Sie uns ein Beispiel nennen, das Sie zuletzt besonders begeistert hat?

In der Hamburger Gruppe hat der Gründer eines Handwerksbetriebs gesagt, dass er in der Gemeinwohl-Ökonomie eine neue Heimat gefunden habe. Der Fachkreis IT erhielt Neuzugang von einem Experten, der bisher in einem Frankfurter Bankenturm arbeitete, aber dabei immer weniger Sinn erfahren hatte. Nach der Lektüre meines Buches „Die Gemeinwohl-Ökonomie“ kündigte er und kam zur GWÖ.


Christian Felber, geboren 1972, lebt als Autor und Universitätslektor in Wien. Er hat Attac Österreich mitbegründet und initiierte 2010 die internationale Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung sowie das Projekt „Bank für Gemeinwohl“. Felber ist Autor der Bücher „Die Gemeinwohl-Ökonomie“; „Retten wir den Euro!“; „Geld. Die neuen Spielregeln“ und „Ethischer Welthandel. Alternativen zu TTIP, WTO & Co.“, die alle bei Deuticke erschienen sind. „Freihandelsabkommen TTIP. Alle Macht den Konzernen?“ ist bei Hanser erschienen. 2017 wurde Felber für seine Gemeinwohl-Ökonomie mit dem ZEIT WISSEN-Preis „Mut zur Nachhaltigkeit“ ausgezeichnet.

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